Kunden indischer Krankenversicherungen droht absehbar eine Steigerung ihrer Beiträge. Der Grund: Die Versicherer dürften bei der Gebührengestaltung fortan auch die Auswirkungen der Luftverschmutzung berücksichtigen.
Derzeit diskutieren die Krankenversicherungen im Rahmen einer neuen Preisgestaltung im Großraum Delhi eine Prämienerhöhung um 10 bis 15 Prozent. Damit reagieren sie auf die aufgrund der Luftverschmutzung im Jahr 2024 stark gestiegenen Gesundheitsschäden.
Erst diese Woche veröffentlichte IQAir, ein Schweizer Unternehmen, das sich mit Luftqualitätstechnologie befasst, seinen Bericht zur weltweiten Luftqualität 2024. Dem Papier zufolge ist Delhi weiterhin die am stärksten verschmutzte Hauptstadtregion der Welt, das Regierungszentrum Neu Delhi selbst liegt noch auf Platz zehn. Indien insgesamt ist als das Land mit der fünfthöchsten Luftverschmutzung gelistet.
"Luftverschmutzung stellt in Indien nach wie vor eine erhebliche Gesundheitsbelastung dar und verkürzt die Lebenserwartung um schätzungsweise 5,2 Jahre", heißt es in dem Bericht.
Der Studie zufolge liegen 13 der 20 Städte mit der höchsten Luftverschmutzung in Indien. Die Stadt mit der weltweit schlechtesten Luftqualität ist demnach Byrnihat an der Grenze zwischen Assam und Meghalaya im Nordosten des Landes.
Zunehmende Gesundheitsprobleme
"Viele nicht übertragbare Krankheiten wie die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Asthma werden durch Luftverschmutzung verschlimmert", sagt Manish Sarin von dem indischen Versicherungsunternehmen Reliance General Insurance. Aus seiner Sicht wäre es ein guter Schritt, wenn Versicherer die Luftverschmutzung in ihren zukünftigen Planungen zur Gesundheitsabsicherung berücksichtigten. "Noch wichtiger ist es aber, das öffentliche Bewusstsein zu schärfen."
Ähnlich sieht es Yatharth Garg vom Insurance Institute of India, dem Dachverband der indischen Versicherer. "Es lässt sich nicht leugnen, dass die Luftverschmutzung in mehreren Großstädten zunimmt. Die steigende Zahl von gesundheitlichen Problemen im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen geht in Teilen auch auf sie zurück", so Garg zur DW.
Die Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit sind zwar gut dokumentiert. Um aber nachzuweisen, dass sie der alleinige oder primäre Faktor für einen bestimmten Prozentsatz der Krankenversicherungsansprüche ist, braucht es detaillierte Daten und Studien, die einen längeren Zeitraum abdecken. Um eine Prämienerhöhung von 10 bis 15 Prozent zu rechtfertigen, müssen die Versicherer zunächst ihre Preismodelle anpassen und Umweltverschmutzung als Risikofaktor berücksichtigen.
Eine drohende Lungenkrebs-Epidemie
In den vergangenen zwei Jahren stiegen die Krankenhauseinweisungen in Delhi und Umgebung aufgrund der starken Luftverschmutzung deutlich an. Allerdings belastet die Luftverschmutzung nicht nur die Hauptstadtregion, sondern weite Teile des südasiatischen Landes.
Die wesentliche Belastung sind Feinstaubpartikel in der Luft. Diese können in die Lungenbläschen gelangen.
"Indien könnte absehbar eine Lungenkrebs-Epidemie drohen. Darüber hinaus wirkt sich Luftverschmutzung aber auch auf den gesamten menschlichen Körper aus", sagt Arvind Kumar, Chirurg und Leiter der medizinischen Non-Profit-Organisation Lung Care Foundation in Indien, im DW-Interview.
Promilla Butani, Kinderärztin in Neu-Delhi und selbst an Asthma leidend, begrüßt den Vorschlag, die Luftverschmutzung in Krankenversicherungspolicen zu berücksichtigen. "Der Vorschlag ist sehr gut, aber entscheidend ist die Umsetzung. Die Einzelheiten der Versicherungspolice müssen noch konkretisiert werden", so Bhutani zur DW.
Behörden unter Handlungsdruck
Die indische Versicherungsaufsichtsbehörde (IRDAI) hat sich zwar noch nicht offiziell zu diesem Thema geäußert. Erwartet wird aber, dass die Behörde die langfristigen Auswirkungen des Vorschlags auf die Versicherungen wie auch die Gesundheitspolitik prüfen wird.
Sollte die Umweltverschmutzung künftig den Preis von Versicherungen beeinflussen, könnte dies die gesamte Branche umgestalten, sagt Chandra Bhushan, Geschäftsführer des International Forum for Environment, Sustainability & Technology. Nötig sei in ganz Indien dann aber eine kontinuierliche Überwachung des Luftqualitätsindex und anderer die Gesundheit betreffender Faktoren.
"Es gibt mittlerweile genügend Belege dafür, dass hohe Luftverschmutzung und Erkrankungen und damit auch die Gesundheitskosten in engem Zusammenhang stehen" so Bhushan. "Daher ist es für Versicherungsunternehmen sinnvoll, das Risiko der Luftverschmutzung mit einzurechnen. Das bedeutet dann auch, dass Einwohner von Städten wie Delhi mehr für ihre Krankenversicherung zahlen müssen als Einwohner von Städten wie Kochi, wo die Luft sauberer ist. Das sollte dann aber den Druck auf die Landesregierungen erhöhen, sich ernsthaft für eine verbesserte Luftqualität einzusetzen."