Seit in der serbischen Stadt Novi Sad im November 2024 ein Bahnhofsvordach einstürzte und 15 Menschen starben, geht eine Protestwelle durchs Land. Die bisher größte Demo fand am 15. März 2025 in Belgrad statt, mindestens 100,000 Menschen demonstrierten gegen Korruption. Dabei soll die Polizei Schallwaffen gegen die Menge eingesetzt haben, sagen Teilnehmer der Demo.
Auf Videos in den sozialen Medien ist zu sehen, wie die Protestierenden während eines Moments der Stille im Gedenken an die Toten plötzlich in Panik auseinanderstoben. Serbiens Innenministerium dementiert den Einsatz von Schallwaffen. Aber worum genau handelt es sich bei akustischen Waffen, und was für Folgen kann ihr Einsatz bei Betroffenen auslösen?
Was sind sogenannte "Schallkanonen"?
Akustische Waffen, oder Long Range Acoustic Devices (LRAD), gehören zu den nicht-tödlichen Waffen. Sie feuern Schallwellen ab, die ein extrem lautes Geräusch erzeugen. Anders als bei normalen Schallwellen, die schwächer werden, je weiter entfernt man von ihrem Sendungspunkt steht, sind die akustischen Signale aus einer Schallwaffe einen Kilometer weit laut zu hören. Das liegt daran, dass die Schallwellen mit großem Druck abgefeuert werden.
Je näher man an der sogenannten "Schallkanone" steht, desto stärker sind die Schmerzen, die ihr Einsatz auslöst. Die LRAD sollen eine maximale Lautstärke von bis zu 150 oder 160 Dezibel erzeugen können. Zum Vergleich: Der Lärm eines Düsenjet Motors liegt bei etwa 130 Dezibel. Eine normale Unterhaltung liegt bei rund 60 Dezibel, ein schreiendes Baby schafft auch mal 80 bis 100 Dezibel.
Wann es Menschen zu laut wird, ist von Person zu Person unterschiedlich und hängt auch von der Frequenz des Tons ab. Im Durchschnitt nehmen regulär Hörende Geräusche als unangenehm wahr, die lauter als 90 oder 100 Dezibel sind. Die Schmerzgrenze wird bei rund 120 Dezibel erreicht.
Symptome beim Einsatz von Schallwaffen
Bei extrem lauten Geräuschen wie denen aus akustischen Waffen treffen die Schallwellen mit hohem Druck auf das Trommelfell und können so Schaden anrichten. Die reflexartige Reaktion ist, sich die Ohren zuzuhalten, weshalb Schallwaffen auch "akustische Handschellen" genannt werden - die Hände können in so einem Moment für nichts anderes mehr genutzt werden.
Neben den Schmerzen in den Ohren, die ab rund 120 Dezibel sofort zu spüren sind, können auch dauerhafte Hörschäden wie Schwerhörigkeit oder Tinnitus schon nach kurzer Einwirkung möglich sein. Doch nicht nur die Ohren sind betroffen. Es kann auch zu psychischen Schäden kommen, weil man überraschend Opfer eines "unsichtbaren" Angriffs geworden ist, gegen den man sich nicht verteidigen kann.
Wenn Schallwellen mit extrem hohem Druck auf Menschen treffen, kann das sogar tödliche Folgen haben: Bei einem extrem lauten Geräusch wie einer Explosion können die Schallwellen bei Menschen in der unmittelbaren Umgebung einen Lungenriss verursachen.
Havanna-Syndrom und Co: Wo Schallwaffen (angeblich) schon eingesetzt wurden
Laute Geräusche werden schon seit Jahrhunderten in der Kriegsführung eingesetzt. So nutzten beispielsweise Ureinwohner in den heutigen Vereinigten Staaten Kriegstrommeln, um über große Entfernungen miteinander zu kommunizieren und um den Gegner einzuschüchtern oder zu verwirren. Im Zweiten Weltkrieg wurden Geräusche ebenfalls zur psychologischen Kriegsführung genutzt: Die Luftwaffe der Nazis stattete ihre Sturzkampfflugzeuge mit Fahrtwindsirenen aus, die im Sturzflug ein lautes Heulen erzeugten. Das sorgte bei den Angegriffenen für noch mehr Panik.
Die heutigen LRAD wurden schon auf Frachtschiffen vor der Küste Somalias eingesetzt, um Piraten zu verjagen. Polizei in Griechenland nutzte akustische Waffen im Sommer 2021, um Migranten davon abzuhalten, irregulär aus der Türkei ins Land und damit in die EU zu kommen. Bei Protesten am Rande des G-20 Gipfels in Pittsburgh 2009 setzte die US-Polizei ebenfalls LRAD ein.
Es gibt auch Verdachtsfälle, was den Einsatz von Schallwaffen ohne hörbare oder mit leisen Tönen auf einer hohen Frequenz betrifft. 2016 und 2017 meldeten US-Diplomaten in Kubas Hauptstadt Havanna gesundheitliche Probleme wie Hörschäden, Schwindel und Schlafprobleme. Einige der Botschaftsangestellten in Havanna sollen nach US-Angaben sogar Gehirnerschütterungen erlitten und ihr Gehör verloren haben. Eine mögliche Erklärung dafür, so US-Behörden damals: Ein Angriff mit einer neuartigen Schallwaffe.
Später traten ähnliche Symptome auch bei US-Diplomaten an anderen Orten wie Wien und Berlin auf. Die Ermittlungen zum sogenannten "Havanna-Syndrom" kamen zu keinem eindeutigen Ergebnis, ein Angriff mit akustischen Waffen gilt aber mittlerweile als unwahrscheinlich.